Pflanzung eines Maulbeerbaums

Bericht über den 31. Juli 2010


Vorgeschichte:

Am Anfang dieses Jahres erhielten wir überraschend die Nachricht, es sei geplant, zum 164. Todestage Wilhelm von Türks an seinem Grab einen Maulbeerbaum zu pflanzen. Der Plan stammte von der Vorsitzenden des Freundeskreises Kapelle und Alter Friedhof Klein-Glienicke e.V. Frau Dr. Jutta Lütten-Gödecke und ihrem Mann Herrn Heinz-Dieter Gödecke. Die Organisatoren unserer Familientreffen, Gerhard Petzholtz, Heino von Türk und Bernd Stoyke hatten insofern ein Problem damit, dass einerseits einige von uns für 2010 schon andere Pläne hatten. Andererseits ist am 31.7.2011 der turnusmäßige Familientag fällig (165. Todestag). Wir beschlossen, es bei diesem einmal festgelegten Turnus zu lassen, andererseits aber die Gelegenheit zur Teilnahme auf alle Fälle wahrzunehmen. Es wurden nun die Einladungen an die Familie und die zahlreichen Institutionen herausgegeben.


31.7.2010

An diesem strahlenden, warmen Sonnabend war es so weit. Ab 10.30 Uhr versammelten sich die Gäste. Von der Familie waren etwa 30 Personen gekommen, fast die gleiche Zahl an anderen Gästen. Eine besondere Freude war es, dass unsere Seniorin Hanna Petzholtz dabei sein konnte. Gerhard eröffnete die Veranstaltung kurz, sodann begrüßte Heino die Gäste. Hier der Text:


Herzlich Willkommen zur Maulbeerbaumpflanzung auf dem Klein-Glienicker Friedhof!


Einige Personen möchte ich besonders begrüssen:


- Herrn Professor Seiler, Direktor i.R. der Gärten von Sanssouci, den grosszügigen Spender des Maulbeerbaumes.

- Herrn und Frau Gödecke, die den Anstoss zur Pflanzung gegeben haben. Sie sind die treibende Kraft des Freundeskreises Kapelle und Friedhof Klein-Glienecke e.V., der sich so viele Jahre und mit solch schönen Resultaten für Friedhof und Kapelle eingesetzt hat.

- Herrn Dr. Przybilski und Frau Przybilski. Dr. Przybilski ist der Vorsitzende des Evangelischen Diakoniewerks Wilhelm-von-Türk-Stiftung. Hauptzwecke der Stiftung sind die Betreuung, Erziehung und Ausbildung von Kindern und Jugendlichen für die eine geregelte Betreuung und Entwicklung zu sozial gefestigten und im Sinne christlicher Ethik verantwortungsbewußten Persönlichkeiten nicht gewährleistet ist, sowie die Betreuung und Fürsorge für hilfsbedürftige ältere Menschen

- Herrn Armin Wolf, den stellvertretenden Leiter der Wilhelm-von-Türk-Schule. Diese ist die einzige Förderschule für die sonderpädagogischen Förderschwerpunkte "Hören" und "Sprache" im Land Brandenburg

Sowohl die Wilhelm-von-Türk-Stiftung als auch die Wilhelm-von-Türk-Schule setzen sich auf ihren Gebieten ganz imSinne des Mannes ein, dessen Namen sie tragen. Die Anwesenheit ihrer Vertreter erfüllt uns deshalb mit Freude.


Schliesslich soll auch Wilhelm-von-Türk-Nachkomme Gerhard Petzholtz erwähnt werden. Es sind seine Initiative und sein grosser organisatorischer Einsatz, der unser Treffen bei dieser Maulbeerbaumpflanzung erst ermöglicht hat. Gerhard, ich danke Dir im Namen aller Anwesenden.


Weiter begrüsse ich die anderen Gäste und die vielen Nachkommen, die die Reise nach Potsdam unternommen haben.


Nachkomme Bernd Stoyke hat schon dargelegt, warum hier ein Maulbeerbaum gepflanzt werden soll. Hier ist der Beitrag eingeschoben:


Warum am 31. Juli 2010 am Grab Wilhelm von Türks ein Maulbeerbaum gepflanzt werden sollte.

Antwort: Es entspricht seinem zu Lebzeiten geäußerten Wunsch.

Sein Wunsch war: "Wenn ich dereinst hingegangen sein werde, so pflanzt auf mein Grab einen Maulbeerbaum, fünf Rosenbüsche und einen Veilchenstock als Symbol für meine sieben Kinder" (aus einem Informationsblatt der WvT-Stiftung).


An anderer Stelle schildert Ferdinand Schnell, eine Situation, in der er sich mit Wilhelm von Türk unter Maulbeerbäumen befand und dieser sagte "Hier sollen einmal meine Gebeine ruhen, wenn auch mein Tag sich für diese Zeit geschlossen haben wird." Schnell wundert sich, dass niemand diesen Wunsch erfüllt hat und regte ein Denkmal an, zu dem es dann auch nicht gekommen ist (vgl.: Ferdinand Schnell : Aus dem Leben eines Preußischen Schulmanns der Pestalozzischen Schule. - Leipzig, 1863).

Wenn wir nun einen Maulbeerbaum pflanzen, erfüllen wir nun endlich den Wunsch des Verstorbenen.


Maulbeerbäume spielten eine sehr grosse Rolle in Wilhelm von Türks Leben, und die Pflanzung eines Maulbeerbaumes auf seinem Grab hatte er sich schon zu Lebzeiten gewünscht. Heute geht ein alter Wunsch Wilhelm von Türks in Erfüllung.


Dieser Baum ist ein sehr besonderer: Er kommt von Professor Seilers persönlicher Zucht auf der Pfaueninsel. Er findet nun einen neuen, ihm sehr angemessenen Standplatz auf dem Friedhof von Klein-Glienicke. Möge er hier gut und lange gedeihen! Und möge er dazu beitragen, die Erinnerung an Wilhelm von Türks grosse Bestrebung, den Seidenbau in Preussen wieder einzuführen, wachzuhalten.


Nach der Pflanzung hoffe ich in der Kapelle noch etwas mehr über Wilhelm von Türk und den Seidenbau inklusive Maulbeerbäume zu erzählen.


Nun ergriff der Spender des Maulbeerbaums, Professor Michael Seiler, das Wort. Er berichtete, dass der Sämling des weißen Maulbeerbaumes von dem wohl ältesten Maulbeerbaum in Deutschland steht, der von Friedrich dem Weisen 1518 in Sachsen gepflanzt worden sein soll. Die Festredner griffen nun tatkräftig und fachmännisch zur Schaufel und sodann halfen auch die Enkel von Gerhard eifrig mit, zu schaufeln und zu gießen. Daran schloß sich ein kleiner Sektemfang am Eingang des Friedhofs an, den Gerhard und Carsten organisiert hatten.


Anschließend ging es in die Kapelle, wo Heino den folgenden Vortrag hielt.



31. JULI 2010 - WILHELM VON TüRK UND DER SEIDENBAU


Zum Anfang möchte ich einige Worte über Wilhelm von Türks Motivation und Arbeitsweise sagen.


Mir kommen sechs Hauptpunkte in den Sinn, die WvTs Leben und Wirken charakterisieren:

1. Sein immer offenes Auge für Missstände, Not, Unrecht und dergleichen.

2. Sein ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit

3. Sein starker Wille mit allen ehrlichen Mitteln den Schwachen, unverschuldet in Not Geratenen und Benachteiligten Hilfe zu bringen und sie wo möglich zu befähigen ihr Leben selbst dauerhaft in die Hand zu nehmen

4. Seine Bereitschaft und Fähigkeit die Zustände gründlich zu analysieren, die benötigten Kenntnisse sich anzueignen, wenn nötig von der Pike auf, und mit allen Menschen ohne Unterschied zusammenzuarbeiten

5. Seine Energie und sein Einsatz beim Inangriffnehmen des für richtig Erkannte

6. Sein Patriotismus. Ein heute vielleicht etwas verpöntes Wort, aber hier im besten Sinne des uneigennützigen Einsatzes für das Wohl einer grösseren Gemeinschaft


WvT hatte drei grosse, eng mit einander verknüpften Interessen- und Arbeitsgebiete:

1. Die Pädagogik inklusive sein Wirken als Regierungs- und Schulrat in Potsdam von 1817 bis zu seiner Pensionierung 1833.

2. Die Wohltätigkeit, besonders die Waisenhäuser

3. Die Wiedereinführung des Seidenbaus in Preussen

In allen drei begegnen wir den sechs eben erwähnten Hauptpunkten.


Die Arbeitsgebiete der Pädagogik und der Wohltätigkeit sind relativ gut bekannt. Ich werde hier nicht auf sie eingehen.

Das dritte, der Seidenbau ist weniger bekannt aber jetzt sehr aktuell. Ihm widme ich den Rest des Vortrages.


Zuerst versuchte ich, aus verschiedenen Quellen, darunter Wilhelm von Türks grosses Werk über den Seidenbau von 1829 ("Vollständige Anleitung zur zweckmässigen Behandlung des Seidenbaus und des Haspelns der Seide, sowie zur Erziehung und Behandlung der Maulbeerbäume nach den neuesten Erfahrungen und Beobachtungen") etwas über ihn und den Seidenbau zusammenzustellen. Ich fand dies schwierig, nicht zuletzt, weil ich selber nichts vom Seidenbau und was dazu gehört, verstehe. Am Ende musste ich aber feststellen, dass Wilhelm von Türk dies in seinen Erinnerungen (Leben und Wirken) selber unnachahmlich gut dargestellt hat. Deshalb werde ich im Folgenden weitgehend seine eigenen, uns hier interessierenden Worte wiedergeben. Ich werde aber die dritte statt der ersten Person verwenden.


Wilhelm von Türk hatte früher das allgemeine Vorurteil geteilt, dass der Seidenbau in dieser Gegend wegen des rauheren Klimas nicht gedeihen könne. Im Jahre 1823 lenkte aber der Schullehrer Götze seine Aufmerksamkeit auf den Seidenbau und wies ihm nach, dass der Seidenbau ihm einen Netto-Ueberschuss von 120 bis 150 Talern lieferte.


Da nun damals von den Land-Schullehrern des Regierungsbezirks Potsdam wenigstens die Hälfte sich mit einem jährlichen Einkommen unter 100 Talern begnügen musste, glaubte er in dem Seidenbau ein Mittel zu erblicken, die Lage vieler Land-Schullehrer und selbst vieler armer Familien zu verbessern und dem Land grosse Summen zu ersparen, die für rohe Seide jährlich nach Italien gingen.


Er besuchte in Berlin die Seidenbau-Anstalt des Bolzani und schrieb 1825 über diesen Gegenstand seine erste kleine "Abhandlung über den Seidenbau".

Das Verfahren beim Haspeln der Seide gefiel ihm aber nicht. Denn in den heissesten Tagen des Sommers mussten die Spinnerinnen in einem beinah kochenden Wasser die Cocons handhaben. Um ein besseres Verfahren zu finden, machte er 1827 mit seinem Bruder Ludwig und dem späteren Lehrer an der königlichen Gewerbeschule in Berlin, Freiberg, eine Reise nach Italien um den Seidenbau, aber besonders das Seidehaspeln besser kennenzulernen.


Seine Reise führte ihn auch nach Genf. Dort erneuerte er die Bekanntschaft des Professors der Botanik, Seringe, dem Wilhelm von Türk später, als Seringe die Direktion des botanischen Gartens in Lyon übernommen hatte, den Besitz der vorzüglichsten Art von Seidenwurm-Eiern, welche eine glänzend weisse Seide geben, verdankte.


Als er in Turin war, musste er feststellen, dass das Verfahren des Seidehaspelns hier dasselbe war, wie in Potsdam. Daher setzte er seine Reise fort nach Mailand. Hier traf er einen Herrn Mylius, Vorsteher einer grossen Seidenhandlung und Filanda [Anlage für das Abwickeln der Seidenfäden]. Und hier bekam er alles zu sehen, was er sich gewünscht hatte. Ein großes Wasserrad setzte hier 120 Haspeln in Bewegung, der Faden der Cocons wurde im heißen Wasser durch Stauchen gefunden, dann wurden die Cocons in die Haspelbecken gegeben, wo das Wasser nur 32 Grad hatte, wo die Spinnerinnen also nicht von der Hitze litten, ihre Finger nicht verbrühten. Herr Freiberg zeichnete die Maschine ab und Herr Mylius gab ihm seine eigenen Risse, wonach sie erbaut worden war.


Kurz vor seiner Abreise nach Italien hatte er ein im Dorfe Klein-Glienicke gelegenes vormaliges königliches Jagdschloss angekauft. Friedrich II. hatte es einem Juden geschenkt unter der Bedingung, darin eine Tapetenfabrik einzurichten und die daselbst befindlichen Maulbeerbäume wohl zu konservieren. Dies Besitzung eignete sich ganz vorzüglich für den Seidenbau. Sie liegt an einem Arme der Havel, daher ist das weiche Wasser zur Zubereituung der Cocons in der Nähe; die Seitengebäude boten einen hinlänglichen Raum dar. Da er, wenn seine Reise Nutzen bringen sollte, das Gesehene und Erfahrene in einem grösseren, eigentümlichen Lokal in Ausführung bringen musste, so liess er einige Räume in den Seitengebäuden des Grundstückes in Klien-Glienicke dazu einrichten, liess den Seidenbau und das Haspeln der Seide da betreiben, liess einen jungen Mann namens Pozzi aus Mailand kommen, wozu ihm der Minister der Finanzen die nötige Unterstützung bewilligte und auch die Mylius'sche Haspelmaschine von Quewa in Berlin für ihn bauen liess. Hier wurden 10 junge Mädchen aus Glienicke von 12 - 15 Jahren im Haspeln unterrichtet, und es gelang ihm, etwa 60 Pfund einer vorzüglichen Seide zu liefern. Die Seidenwürmer waren mit den Blättern der Maulbeerbäume, die Friedrich II. bei Sanssouci hatte pflanzen lassen, gefüttert worden.


1829 hielt er in Glienicke Vorlesungen über den Seidenbau,denen Schullehrer aus Potsdam, Frankfurt an der Oder, Breslau und Sachsen-Meiningen beiwohnten.


Er versorgte alle, die sich an ihn wandten, mit Seidenwurm-Eiern, Maulbeerbaumsamen der vorzüglichsten Art usw.

Zu Ende des Jahres 1829 erschien sein vollständiges Werk über den Seidenbau [die am Anfang schon zitierte Vollständige Anleitung. ]

In den folgenden Jahren bekam er viele Besuche von Personen, die den Seidenbau und das Haspeln erlernen wollten. Der Seidenbau verbreitete sich immer weiter.


Von Klein-Glienicke gingen aus : der Unterricht im Seidenbau und im Haspeln der Seide, die besseren Maschinen, die vorzüglichste Art der Seidenwürmer, die eine glänzend weisse Seide liefern, und der Maulbeerbäume.

Da man früher fast alle zu Zeiten Friedrich II. gepflanzten und gepflegten Maulbeerbäume umgehauen hatte, wurden neue Pflanzungen angelegt.

Hiermit ist mein Vortrag zu Ende. Ich hoffe, er Ihnen ein bisschen Freude gemacht.

HvT 28. Juli 2010


Es sprach nun Armin Wolf, Konrektor der Wilhelm von Türk-Schule. Er berichtete über die Probleme der Schule. Zu unserem großen Erstaunen hörten wir, dass die Schule zwischenzeitlich ihren Namen verloren hatte, als sie nämlich mit der benachbarten James-Krüss-Schule (Sprachbehinderten-Schule) zusammen gelegt wurde. Glücklicherweise hat man sich entschieden, dem Namen Türk den Vorzug zu geben. Die allgemeine Sparwelle geht auch an der WvT-Schule nicht vorbei und macht einige Probleme. Hier nun spielt die Wilhelm von Türk-Stiftung eine segensreiche Rolle. Durch namhafte Zuwendungen konnte sie der Schule helfen. Der anwesende Herr Dr. Przybilski (s.o.) war zu bescheiden, diese Leistungen anzusprechen. Wie zu erfahren war, hat die WvT-Stiftung durch den Verkauf des Knabenheims (neben dem Friedhof) eine wesentliche Stärkung erhalten, die nun auch der Schule zugute kommt.


Anschließend ergriff Herr Kitschke das Wort. Er berichtete über die Baugeschichte der Kapelle und besonders über die Schuke-Orgel. Er ließ es sich nicht nehmen, einiges auf der Orgel vorzuspielen.


Im Bürgershof war dann das gesellige Mittagessen. Anschließend begab sich eine kleinere Gruppe auf den Böttgersberg zur Loggia Alexandra. Auch hier ist der Bezug zur Familie gegeben, denn der Baumeister Ernst Petzholtz hat diesen Bau ausgeführt. Die Loggia ist Teil der Glienicker Parklandschaft und träumt im Walde wie verwunschen vor sich hin.

Anschließend fand sich die Familie im Cafe Prinz Leopold wieder zusammen und am Abend im traditionellen "Fliegenden Hölländer". Dort wurde um einen Unkostenbeitrag von 10 ¤ gebeten. Dazu möchte ich hier sagen, dass wir im Laufe der Jahre aus einen Spendenrest laufende Ausgaben gemacht haben, etwa 2002 Essen zur Namensgebung WvT-Schule, Renovierung der Grabplatte (255 ¤), Kränze und Blumen am Grab, Spende an die WvT-Schule. Seit 2001 ist nichts mehr eingekommen, so dass wir die Kasse etwas auffüllen wollen.


Als Ergebnis des schönen Tages konnten wir feststellen, dass wir das lose Netzwerk um die Erinnerung an Wilhelm von Türk etwas fester und lebendiger geknüpft haben. Daran wollen wir weiterarbeiten.


Im nächsten Jahr wollen wir uns am Sonntag, den 31. Juli 2011 in Klein-Glienicke zum bereits siebten Mal wieder treffen. Da Programm wird ähnlich wie in den Vorjahren sein. Darauf freuen wir uns und hoffen, dass unser Maulbeerbäumchen gut angegangen ist.


Diesen Bericht kann ich nicht abschließen, ohne den Mitwirkenden zu danken, ganz besonders aber Gerhard, auf dem die größte Last der Organisation ruhte. In ihm hat Hans-Heinrich Petzholtz einen würdigen Nachfolger gefunden.


Bernd Stoyke 8.8.2010



Fotos